Der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel (BPPV) ist eine gutartige Erkrankung des Gleichgewichtsorgans im Innenohr. Kennzeichnend sind kurze, plötzlich einsetzende Drehschwindelattacken beim Ändern der Kopfposition (z. B. Aufsetzen, Umdrehen im Bett). Betroffene verspüren, dass sich die Umgebung oder sie selbst für wenige Sekunden drehen, oft begleitet von Übelkeit, Erbrechen und unwillkürlichen Augenbewegungen (Nystagmus). Umgangssprachlich werden BPLS auch „Drehschwindel“ oder „Schwankschwindel“ genannt. Die Bezeichnung „benigne“ bedeutet „gutartig“ (nicht lebensbedrohlich), und „paroxysmal“ bezieht sich auf das anfallsweise Auftreten des Schwindels. Typisch ist, dass die Schwindelattacken meist nur 10–60 Sekunden andauern (dadurch crescendo-decrescendo verlaufen) und danach spontan verschwinden. Zwischen den Anfällen herrscht normalerweise Beschwerdefreiheit; bei Wiederholung desselben Lagerungsmanövers nehmen Stärke und Dauer des Schwindels ab (Habituation).
BPLS ist insgesamt relativ häufig. Studien schätzen die Lebenszeitprävalenz auf etwa 2–3 %. Die Erkrankung tritt vor allem im mittleren bis höheren Erwachsenenalter auf (Häufigkeitsgipfel 50.–60. Lebensjahr). Frauen sind dabei etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. In Schwindelspezialambulanzen macht BPPV die häufigste diagnostizierte Schwindelform aus.
Ursachen und Risikofaktoren
Der Lagerungsschwindel beruht pathophysiologisch auf der Canalolithiasis: Kleine Kalziumkristalle (Otolithen, oft als „Ohrsteinchen“ bezeichnet) lösen sich aus dem Utrikulus des Innenohrs und gelangen in einen der halbkreisförmigen Bogengänge. Dort stören sie bei Kopfbewegungen die normale Endolymphströmung und reizen die Sinneszellen übermäßig, was das falsche Drehbewegungsgefühl auslöst. Betroffen ist in rund 80–90 % der Fälle der hintere Bogengang, seltener der seitliche (horizontale) oder vordere.
Meistens ist keine eindeutige Ursache erkennbar (idiopathisch). Häufige Auslöser und Risikofaktoren sind jedoch zum Beispiel:
- Kopf- und Nacken-Trauma: Stürze oder Schleudertrauma können Otolithenablösungen fördern.
- Längere Bettruhe oder Operationen unter Vollnarkose: Langzeitimmobilisierung (z. B. nach Krankheit) oder chirurgische Eingriffe (Allgemeinanästhesie) erhöhen das Risiko.
- Innenohrentzündungen oder andere Ohrkrankheiten: Infektionen wie eine Labyrinthitis können das Gleichgewichtsorgan schädigen.
- Migräne und M. Menière: Diese Erkrankungen treten gehäuft bei BPPV-Patienten auf und gehen mit einem erhöhten Rezidivrisiko einher.
- Fortgeschrittenes Alter und Osteoporose: Mit zunehmendem Alter (besonders bei Frauen mit Osteoporose) kommt es vermehrt zum Ablösen von Otolithen.
Die genannten Faktoren erklären, warum BPPV häufig nach Narkosen, Kopfverletzungen oder längerer Bettlägerigkeit auftritt und warum Migränepatienten empfindlicher sind. Ein identifizierbarer Auslöser fehlt aber in vielen Fällen. Das Vorhandensein von Risikofaktoren kann zudem die Rezidivwahrscheinlichkeit erhöhen.
Symptome und typischer Verlauf
Leitsymptom ist ein starker Drehschwindel, der wenige Sekunden nach einer bestimmten Kopfbewegung einsetzt und oft nur einige Sekunden bis maximal etwa eine Minute anhält. Häufige Auslösesituationen sind das Umdrehen im Liegen, Hinlegen oder Aufstehen. Typischerweise verspürt der Betroffene, dass sich die Umgebung kurz dreht (Dreh- oder Schwankgefühl).
Begleitend treten spezifische Begleitsymptome auf: Es zeigt sich meist ein typischer Nystagmus, d. h. ein unwillkürliches, schnell hin- und herschlagendes Zittern der Augen. Dieser Nystagmus ist oft vorwiegend rotatorisch mit einer kleinen vertikalen Komponente. Zusätzlich leiden viele Patienten unter Übelkeit und Erbrechen, kaltem Schweißausbruch oder panikartigen Angstgefühlen während der Attacke. Infolge des plötzlichen Gleichgewichtverlusts besteht Sturzgefahr; Betroffene sollten sich während einer Episode unbedingt festhalten.
Zwischen den Anfällen sind die Patienten in der Regel beschwerdefrei. Bei mehrmaliger Wiederholung des Auslösemanövers kommt es zum Habituationseffekt: Die Intensität von Schwindel und Nystagmus nimmt schrittweise ab. Ohne gezielte Therapie klingen die Anfälle meist innerhalb von Wochen wieder ab, jedoch nicht selten mit dauerhaften Rezidiven. Es kann auch über Tage ein leichter, unspezifischer Restdrehschwindel (“Residualdizziness”) verbleiben.
Diagnose
Die Diagnose BPLS wird vor allem klinisch gestellt. Typisch sind die kurz anhaltenden Schwindelattacken bei Lagerungsmanövern. Apparative Untersuchungen (z. B. Hörtests, Bildgebung) dienen vornehmlich dem Ausschluss anderer Ursachen und sind für die Diagnose eines BPPV nicht erforderlich. Wichtig ist, andere Schwindelformen – insbesondere zentrale Ursachen wie Schlaganfälle – auszuschließen, ggf. durch neurologische Tests (HINTS-Protokoll bei akutem Dauerschwindel).
Entscheidend ist die Durchführung von Lagerungsmanövern: Dabei wird durch gezielte Lageänderung ein typischer Nystagmus ausgelöst. Die wichtigsten Prüfungen sind:
- Dix-Hallpike-Test (Lagerungsprüfung): Der Patient sitzt, der Untersucher dreht seinen Kopf um etwa 45° zur Prüfseite und lässt den Patienten dann schnell auf den Rücken lagern (Kopf leicht überstreckt). Bei positivem Befund tritt nach etwa 5–10 Sekunden ein stark rotierender (nach unten schlagender) Nystagmus zum betroffenen Ohr auf, der sich nach Aufrichten umkehrt. Ein solcher Nystagmus mit kurzer Latenz und Dauer unter 1 Minute ist hochspezifisch für einen BPLS des hinteren Bogengangs.
- Supine-Head-Roll-Test (Pagnini-McClure): Prüft die seitlichen Bogengänge. Der liegende Patient dreht den Kopf ruckartig nach links und rechts. Es tritt ein geotroper (zum Boden) oder apogeotroper Nystagmus auf, der auf den betroffenen horizontalen Bogengang hinweist.
- Semont-Manöver (diagnostisch): Eine diagnostische Variante (schnelles Umlagern aus dem Sitzen seitlich) kann ebenfalls einen charakteristischen Nystagmus auslösen.
Bei allen Tests wird der dabei auftretende Nystagmus beobachtet (z. B. mit Frenzel-Brille), um Auge und Richtung zu beurteilen. In der Praxis bestätigt typischerweise der Hallpike-Test die Diagnose. Die Beobachtung dieser Befunde in Kombination mit typischen Symptomen gibt die sichere Diagnose BPPV.
Behandlung
Die Therapie des BPLS zielt darauf ab, die verschleppten Otolithen wieder in den Utrikulus zu manövrieren. Repositionsmanöver sind die Therapie der Wahl. Dabei wird der Patient durch geschulte Personen (HNO-Ärztin, Physiotherapeut) in bestimmten Abfolgen gelagert. Wichtige Manöver sind:
- Epley-Manöver (sitzend beginnend): Der Patient sitzt auf der Behandlungsliege, der Kopf wird um 45° zur betroffenen Seite gedreht. Dann legt sich der Patient mit dem Rücken auf die Liege, sodass der Kopf etwas tiefer als der Körper liegt, und hält diese Position ca. 30 Sekunden. Anschließend wird der Kopf um weitere 90° in die entgegengesetzte Richtung gedreht und wieder gehalten, bevor der Patient sich weiter zur Schulter dreht und schließlich wieder aufrecht setzt.
- Sémont-Manöver: Der Patient sitzt, dreht den Kopf 45° zur gesunden Seite, legt sich dann schnell auf die kranke Seite (Kopf nach oben gerichtet) und hält die Lage – dieser Wechsel provoziert einen Nystagmus, der dem des Hallpike-Manövers entspricht.
- Brandt-Daroff-Übung: Ein habituatives Trainingsmanöver, das der Patient selbst zu Hause durchführen kann. Er sitzt, dreht den Kopf 45° zur gesunden Seite und legt sich rasch auf die erkrankte Seite (Gesicht zum Boden); nach etwa 30 Sekunden kehrt er zur Mitte zurück. Diese Serie wird mehrfach täglich wiederholt, bis sich eine Besserung einstellt.
- Manöver für den horizontalen Kanal: Hier eignen sich z. B. das Barbecue- (Lempert-)Manöver oder das Gufoni-Manöver. Diese speziellen Lagerungsübungen orientieren sich an der Schwerkraftrichtung im seitlichen Bogengang.
Die genannten Manöver erzielen bereits beim ersten Durchgang eine hohe Erfolgsrate (je nach Methode etwa 50–90 %). Epley und Semont gelten dabei als gleichwertig wirksam. Gelingt es mit einer einmaligen Behandlung nicht vollständig, werden die Lagerungsübungen wiederholt – häufig erfolgt dies durch Anleitung des Patienten zur eigenständigen, mehrmaligen Durchführung (oft auch in Zusammenarbeit mit einem Physiotherapeuten).
Medikamentös werden akut vor einem Manöver oft Antiemetika oder leichte vestibuläre Suppressiva (z. B. Dimenhydrinat, Antihistaminika) verabreicht, um Übelkeit und Angst während der Übungen zu mildern. Eine langfristige Medikamenteneinnahme (z. B. Dauergabe von Schwindelmitteln) ist dagegen nicht kausal und wird nicht empfohlen. Bei starker akutierter Übelkeit sind Antiemetika sinnvoll.
Insgesamt führt die Therapie in den meisten Fällen zu einer vollständigen Beschwerdefreiheit. Wichtig ist eine entsprechende Aufklärung: Nach gelungener Lagerung kann für einige Tage ein unspezifischer Residualschwindel verbleiben. Die Patienten sollten wissen, dass im Anschluss an die Repositionsmanöver meist eine Ruhephase mit erhöhter Lagerung (z. B. Rückenschräglage, Köpferhöhung) sinnvoll ist und abrupte Kopfbewegungen (Bücken, Strecken) in den folgenden 1–2 Tagen vermieden werden sollten.
Anleitung zur Selbstdiagnose und Selbstbehandlung zu Hause
Grundsätzlich sollten Lagerungstests und -manöver idealerweise unter fachärztlicher Anleitung beginnen. Liegt bereits eine gesicherte BPPV-Diagnose vor, können die Betroffenen bestimmte Übungen auch selbstständig zu Hause durchführen. Empfehlenswert ist dabei, sich zunächst genau vom Arzt oder Therapeuten instruieren zu lassen.
Typische Selbsttests: Wer alle anderen Schwindelursachen (z. B. durch ärztliche Abklärung) ausschließen konnte, kann zum Selbstcheck leicht feststellen, ob bestimmte Bewegungen Schwindel auslösen (z. B. langsames Umdrehen im Bett oder rasches Vorüberbeugen). Ein Beispiel ist eine vereinfachte Version des Hallpike-Tests: Man sitzt auf einem Bett, dreht den Kopf zur Seite und legt sich dann schnell nach hinten. Tritt dabei Schwindel und Nystagmus auf, spricht das für BPPV. Allerdings können diese Bewegungen sehr unangenehm sein – sollten heftige Symptome auftreten, ist sofortiges Abbrechen ratsam.
Selbstbehandlung: Bewährt haben sich vor allem folgende Übungen, die auch zu Hause geübt werden können (alle Manöver jeweils mehrmals täglich durchführen, bis Spürerfolg eintritt):
- Epley-Manöver: Wie oben beschrieben (sitzend starten, Kopf 45° drehen, dann schnell nach hinten legen, Position halten, Kopf 90° weiterdrehen, erneut Position halten, schließlich zur Seite kippen und aufsetzen). Dieses Manöver kann mehrfach hintereinander geübt werden – man sollte dabei allerdings zunächst eine Hilfsperson zur Sicherheit neben sich haben.
- Brandt-Daroff-Übung: Mehrfach täglich wiederholen: Aus dem Sitzen Kopf 45° zur gesunden Seite drehen, rasch auf die kranke Seite legen (Gesicht zum Boden), ca. 30 Sek. halten, dann wieder aufsetzen.
- Semont-Übung: Alternativ kann man sich auf einen Stuhl setzen, den Kopf 45° zur gesunden Seite drehen und sich dann schnell auf die kranke Seite fallen lassen (so dass das Gesicht leicht nach oben blickt), 30 Sek. halten und wieder aufsetzen.
- Sonstige Tipps: Nach den Übungen ist es ratsam, 1–2 Tage mit leicht erhöhtem Oberkörper zu schlafen (z. B. im Rückenschrägbett oder mit zusätzlichem Kissen). In dieser Zeit sollte man abrupte Kopfdrehungen und Beugungen vermeiden.
Bei anhaltenden Beschwerden oder Unsicherheit über die richtige Durchführung sollte erneut ein Arzt oder Physiotherapeut aufgesucht werden.
Prognose und Prävention
Die Prognose des Lagerungsschwindels ist günstig, wenn die Behandlung rechtzeitig erfolgt. Nach korrekter Reposition mit Manövern sind etwa 50–90 % der Patienten sofort beschwerdefrei. Manche Quellen berichten von über 90 % unmittelbarer Linderung durch das Epley-Manöver.
Dennoch bleibt BPPV rezidivierend: In Studien traten bei etwa 15–56 % der Patienten erneute Schwindelattacken innerhalb weniger Jahre auf. Eine Übersichtsarbeit nennt konkret eine Rezidivrate von 30–50 % innerhalb von zwei Jahren. Rezidive sollten wiederum mittels Lagerungsmanövern behandelt werden.
Prävention: Um weiteren Episoden vorzubeugen, werden allgemeine Maßnahmen empfohlen: Vermeidung längerer Bettruhe, aktives Bewegungsprogramm und gegebenenfalls Therapie zugrundeliegender Erkrankungen (z. B. Migräne oder Menière). Neuere Studien legen nahe, dass eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D und Calcium die Rezidivrate senken kann. Bei nachgewiesenem Vitamin-D-Mangel sollten Betroffene daher an eine Substitution denken. Nach einem ersten BPPV-Episode kann auch eine regelmäßige Nachuntersuchung oder „Schwindel-Check“ beim Hausarzt sinnvoll sein. Insgesamt ist die Erkrankung jedoch nicht gefährlich, und durch die beschriebenen Manöver kann in den meisten Fällen eine vollständige Beschwerdefreiheit erzielt werden.
📚 Quellenverzeichnis
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