Karpaltunnelsyndrom
Das Karpaltunnelsyndrom (KTS) entsteht, wenn der Nervus medianus im Handgelenk im schmalen Karpaltunnel eingeengt („eingeklemmt“) wird. Typische Beschwerden sind Kribbeln, Taubheit oder Schmerzen in der betroffenen Hand – vor allem im Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Bei ersten Symptomen (z.B. eingeschlafene oder kribbelnde Finger) können Sie zu Hause einfache Selbsttests durchführen, um einen Verdacht zu erhärten:
- Phalen-Test: Verschränken Sie die Finger beider Hände so, dass sich die Handrücken aneinanderlegen und die Fingerspitzen nach unten zeigen. Beugen Sie dabei die Handgelenke maximal und halten Sie die Position etwa 1 Minute lang. Ein positives Ergebnis – z.B. Kribbeln oder Taubheitsgefühl in Mittel- und Zeigefinger – deutet auf ein Karpaltunnelsyndrom hin.
- Flaschen-Test: Halten Sie eine Flasche (oder ein Rohr) so, als wollten Sie sie umfassen. Gelingt es kaum noch, den Daumen seitlich abzudrücken, oder treten dabei Schmerzen auf, kann das auf eine starke Karpaltunnelkompression hindeuten.
- Hoffmann-Tinel-Zeichen: Strecken Sie die betroffene Hand aus und klopfen Sie sanft mit einem Finger auf die Innenseite des Handgelenks über dem Karpaltunnel. Ein elektrisierendes Kribbeln oder „Einschießen“ in die Finger spricht dafür, dass der Nerv gereizt ist.
Diese Selbsttests liefern nur Hinweise. Ein positiver Selbsttest sollte zum Arztbesuch führen, denn die genaue Diagnose erfordert oft eine detaillierte Untersuchung.
Definition und Überblick
Der Karpaltunnel ist ein schmaler knöcherner Durchgang im Handgelenk, der von den Handwurzelknochen und dem quer verlaufenden Retinaculum flexorum (Bindegewebsband) gebildet wird. Durch diesen Tunnel verlaufen Sehnen und der Nervus medianus. Beim Karpaltunnelsyndrom wird der Nervus medianus durch Druck oder Enge im Karpaltunnel geschädigt. Dadurch kommt es zu typischen Missempfindungen und Schmerzen in der Hand. Das Syndrom ist eine der häufigsten Nervenkompressionskrankheiten – etwa 3–6 % der Bevölkerung sind betroffen, Frauen deutlich häufiger als Männer. Mit zunehmender Schwere können neben Kribbeln und Taubheitsgefühlen auch Handschmerzen und Muskelschwächen (besonders im Daumenballen) auftreten.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Entstehung eines KTS ist meist multifaktoriell. Wichtige Risikofaktoren sind:
- Anatomische Engstellen: Angeboren zu enge Karpaltunnel oder Varianten der Handwurzelknochen, die den Kanal einengen.
- Schwellungen im Karpaltunnel: Entzündungen oder Verdickungen der Sehnenscheiden (Tenosynovitis) durch Überlastung, rheumatische Erkrankungen oder Ödeme (z.B. Schwangerschaft).
- Verletzungen: Brüche oder Verrenkungen der Handwurzelknochen können die Kanalenge verstärken. Auch Arthrose des Handgelenks (knöcherne Veränderungen) erhöht den Druck im Karpaltunnel.
- Repetitive Belastung: Wiederholte, starke Beugung und Streckung des Handgelenks (z.B. bei Montage- oder Fließbandarbeit) und Hand-Arm-Vibrationen gelten als Auslöser. (Demgegenüber erhöhen normale Büroarbeiten mit Maus und Tastatur das Erkrankungsrisiko nicht.)
- Stoffwechsel- und Hormonerkrankungen: Diabetes mellitus, Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose), Übergewicht und langjährige Kortison- oder Östrogentherapie verdoppeln das KTS-Risiko.
- Begleiterkrankungen: Rheumatoide Arthritis, Dialysepflichtigkeit (chronische Niereninsuffizienz) oder Akromegalie sind häufig mit einem KTS assoziiert.
- Weitere Ursachen: Raumforderungen im Karpaltunnel wie Zysten oder Tumoren, Schwangerschaft (Flüssigkeitseinlagerungen) und genetische Veranlagung können ebenfalls auslösend sein.
Dennoch kann auch nach schwerer Überlastung (z.B. Gartenarbeit, Hausrenovierung) oder Verletzungen ein bereits bestehendes KTS wieder aufflammen. Kälte führt nur indirekt zu mehr Beschwerden (verminderte Durchblutung).
Symptome und Verlauf
Die Symptome entwickeln sich typischerweise allmählich:
- Frühsymptome: Anfänglich klagen Betroffene über Kribbeln oder Taubheit in der betroffenen Hand. Besonders Daumen, Zeige- und Mittelfinger fühlen sich oft „eingeschlafen“ an. Diese Missempfindungen treten häufig nachts oder morgens auf (oft nach längerer Haltetätigkeit wie Telefonieren oder Radfahren). Das Gefühl kann bis in den Unterarm ausstrahlen, und Handschmerzen oder brennende Schmerzen sind keine Seltenheit. Oft lässt sich durch Reiben oder Schütteln der Hand vorübergehend Erleichterung erzielen.
- Fortschreitendes Stadium: Mit zunehmender Nervenirritation spüren Betroffene öfter anhaltendes Kribbeln und Taubheit. Beim Greifen oder Faustschluss können plötzlich stechende, elektrische Schmerzen auftreten. Betroffene klagen oft über eine verminderte Kraft in der Hand und Schwierigkeiten bei feinmotorischen Tätigkeiten.
- Spätstadium: Unbehandelt führt die langfristige Nervenkompression zu bleibendem Gefühlsverlust von Daumen bis Mittelfinger. Die Feinmotorik der Hand verschlechtert sich – alltägliche Aufgaben wie Knöpfe schließen oder Schreiben fallen schwer. Es kann eine Schwäche beim Spreizen und Beugen des Daumens auftreten, weil der Daumenballenmuskel (Thenar) zurückgeht (Atrophie).
In vielen Fällen schwankt der Verlauf: Symptome können vorübergehend abklingen oder sich nach Belastung, Schwangerschaft oder Frakturen erneut verschlechtern.
Diagnostik
Die Diagnose eines Karpaltunnelsyndroms beginnt mit einer klinischen Untersuchung: Der Arzt inspiziert Hande und Daumenballen, testet die Sensibilität der Finger sowie die Muskelkraft des Daumenballens. Spezifische Provokationstests werden eingesetzt. Beim Phalen-Test lässt man die Patienten die Handgelenke stark beugen (Fingerspitzen zeigen nach unten) und sucht nach dem typischen Kribbel-Effekt. Beim Tinel-Zeichen klopft man sanft auf den Karpaltunnel (Handgelenk-Innenseite) – eine elektrisierende Missempfindung spricht für eine Nervenreizung. Wichtig ist auch die Kontrolle auf eine Atrophie des Daumenballens (Thenaraplasie).
Als Goldstandard gilt jedoch die elektrophysiologische Untersuchung: Mit Nervenleitgeschwindigkeitstests (Neurographie) kann man eine verzögerte Reizleitung des N. medianus im Karpalkanal objektivieren. So lässt sich die Diagnose sicher bestätigen und der Schweregrad abschätzen. Bildgebende Verfahren (Röntgen, Ultraschall, MRT) dienen vor allem dazu, andere Ursachen (z.B. Arthrose, Raumforderung) auszuschließen. Da klinische Provokationstests nur Hinweise liefern und weniger sensitiv sind als eine Neurographie, sollten sie nicht allein über Diagnose oder Therapie entscheiden.
Behandlungsmöglichkeiten
- Konservative Therapie: Bei milden Beschwerden versucht man zunächst entlastende Maßnahmen. Sehr verbreitet ist das Tragen einer nächtlichen Handgelenkschiene, die das Gelenk in Neutralstellung hält und den Druck im Karpaltunnel reduziert. Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oder entzündungshemmende Kortison-Gaben (Tabletten oder direkte Injektion in den Tunnel) können Schwellung und Schmerzen lindern. Ergotherapie bzw. Physiotherapie mit speziellen Handübungen kann die Muskulatur stärken und die Symptome mildern. Eine konsequente Vermeidung von Überlastung (regelmäßige Pausen, Entlastungsübungen) gehört ebenfalls dazu. Diese Maßnahmen führen nicht immer zur vollständigen Heilung, können aber den Krankheitsverlauf verzögern.
- Operative Therapie: Bei fortgeschrittenem KTS oder unzureichendem Erfolg der konservativen Maßnahmen ist eine Operation oft indiziert. Dabei wird das querverlaufende Retinaculum flexorum (Karpaldach) durchtrennt, um den Druck auf den Medianusnerv zu entlasten. Der Eingriff erfolgt meist ambulant und kann offen (ca. 2–3 cm Schnitt in der Hohlhand) oder endoskopisch (kleinere Inzisionen) erfolgen. Nach der Operation muss das Handgelenk rasch bewegt werden, um Gelenksteifigkeit vorzubeugen. Die Heilung dauert je nach Befund mehrere Wochen. In den meisten Fällen verbessert sich die Handfunktion deutlich. Eine Wiederholung der Operation ist selten nötig; Frühdiagnose erhöht die Erfolgschancen.
Prognose und Verlauf
Die Prognose hängt vom Zeitpunkt der Behandlung ab. Wird das Karpaltunnelsyndrom früh erkannt und operativ entlastet, erreichen viele Patienten eine beschwerdefreie Hand. Die Erfolgschancen sind vor allem in den ersten Monaten gut. Bestehen jedoch schon längere Zeit Nervenschäden mit Daumenballen-Schwund, ist oft keine vollständige Rückbildung möglich. Dann verbessert die Therapie meist nur die Situation, löst aber nicht alle Defizite. In jedem Fall gilt: Eine frühzeitige Therapie (konservativ oder operativ) erhöht die Chance auf volle Erholung. Bleibt das KTS unbehandelt, kann es zu dauerhaftem Gefühlsverlust und Handfunktionsstörungen kommen.
Prävention
Eindeutige Präventionsmaßnahmen gibt es nicht – vor allem genetisch vorgeprägte Engstellen lassen sich nicht ändern. Empfehlenswert sind jedoch ergonomische Maßnahmen und regelmäßige Bewegungspausen bei belastender Handarbeit. Dehnübungen für Handgelenk und Unterarm (z.B. Faustschluss, Handrücken dehnen) sowie das Tragen einer neutralen Handgelenksposition bei Bildschirmarbeit können Beschwerden lindern. Manche Experten empfehlen leichte Muskelkräftigungsübungen und die Vermeidung dauerhaft gebeugter Handgelenke (z.B. bewusst Handhaltung während des Schlafs anpassen). Insgesamt bleibt aber unklar, inwieweit solche Übungen die Entstehung eines KTS wirklich verhindern.
Relevanz in Beruf und Alltag
Ein Karpaltunnelsyndrom kann im Alltag und Beruf erhebliche Einschränkungen bedeuten. Häufig sind Berufe mit hoher Handbelastung betroffen. In Deutschland ist das KTS sogar als Berufskrankheit (BK 2113) anerkannt, wenn etwa langandauernde, sich wiederholende Beugungs- und Streckbewegungen der Hände oder starke Vibrationseinwirkungen vorliegen. Beispiele sind Kassiererinnen, Fließbandarbeiter (z.B. in der Automobilindustrie) oder Arbeiten mit starkem Handkraftaufwand (Polstermöbelherstellung, Forstwirtschaft). In solchen Fällen kann das KTS als arbeitsbedingte Erkrankung gemeldet werden.
Selbst im privaten Bereich können bestimmte Tätigkeiten Symptome auslösen oder verstärken: Nach intensiver Garten- oder Hausarbeit, beim Renovieren oder bei Sportarten mit einseitiger Handbelastung bemerken viele Betroffene stärkeres Kribbeln und Schmerzen. Längeres Telefonieren mit abgewinkeltem Handgelenk oder intensives Fahrradfahren führen ebenfalls oft zu „eingeschlafenen“ Händen. Dagegen ist allgemeine Computer- und Bildschirmarbeit als Ursache nicht belegt.
Insgesamt gilt: Rund 3–6 % der Bevölkerung entwickeln im Lauf des Lebens ein Karpaltunnelsyndrom. Da die typische Patientengruppe (zwischen 40 und 60 Jahren) berufstätig ist, kann ein KTS zu längeren Arbeitsausfällen führen. Eine rechtzeitige Behandlung ist deshalb wichtig, um Schmerzen zu lindern und Folgeschäden (z.B. dauerhaften Nervenschaden, Daumenballenschwund) zu vermeiden.
Quellen
- AWMF S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Karpaltunnelsyndroms“ (Stand 04/2022)
- Apotheken Umschau (aktualisiert 11.12.2024), Artikel „Kribbeln in der Hand? Das könnte ein Karpaltunnelsyndrom sein“
- Apotheken Umschau, SelbstdTests und Therapie zum Karpaltunnelsyndrom (verschiedene Abschnitte)
- Focus Online (09.06.2023), „Karpaltunnelsyndrom: Test zeigt, ob Sie betroffen sind“
- Helios MVZ München (Dr. Felix Söller, 08.12.2023), „Karpaltunnelsyndrom-Selbsttest – So erkennen Sie die Warnsignale“
- Orthinform (Handchirurgie-Portal, Dr. Henning Leunert), „Karpaltunnelsyndrom: Ursachen, Diagnose, Therapien“
- DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung), BK-Info 2113 „Krankheiten von Nerven, Nervenwurzeln und Nervenplexus – Karpaltunnelsyndrom (G56.0)“
- Weitere medizinische Literatur und Leitlinien (z.B. Handchirurgie, Neurologie, Ergonomie-Fachpublikationen) sowie Fachportale dienten der Hintergrundinformation.